Lesetipp:
Lichterfelde – Groß-Lichterfelde – Lichterfelde Ost
Der am 20. September 1868 eröffnete Bahnhof Lichterfelde an der Anhaltischen Eisenbahn ist ein besonderer Verkehrsort, der seit seinem Bestehen extreme Höhen und Tiefen erlebte. Der Bahnhof ist nicht zu trennen von seiner Umgebung: Die Entstehungsgeschichte von Lichterfelde ist mit diesem Bahnhof eng verknüpft. Wie Wilhelm Carstenn, der Gründer von Lichterfelde, der Anhaltischen Bahngesellschaft eine Station für seine Villensiedlung abgerungen hatte, wie Lichterfelde dadurch zu florieren begann, wie und warum Carstenn zwar geadelt wurde, dann aber verarmt und geschmäht starb – das alles hat auch mit dem Bahnhof und seinem Umfeld zu tun. Hier gab es immer wieder besondere Ereignisse. Ab Jungfernstieg am Westausgang des Bahnhofs fuhr 1881 die erste elektrische Straßenbahn der Welt zur damaligen Hauptkadettenanstalt. Ab 1903 verkehrten von „Groß-Lichterfelde Ost“, wie der Bahnhof inzwischen hieß, die ersten elektrischen Nahverkehrszüge, Vorläufer der heutigen S-Bahn. Nach umfangreichen Umbauten während des Ersten Weltkrieges war die Station ein respektabler Fernbahnhof mit drei Bahnsteigen. 1927 geriet der Bahnhof, seit 1925 nun endgültig „Lichterfelde Ost“, in die Schlagzeilen: NSDAP-Gauleiter Joseph Goebbels hatte mit gewaltbereiten SA-Leuten eine „Schlacht bei Lichterfelde“ organisiert, die etliche Verwundete forderte und einen stark zerstörten Personenzug auf dem Bahnhof zurückließ. Ein Menetekel für künftige politische Entwicklungen in Deutschland.
Das Ende des Zweiten Weltkrieges war der Bahnhof Lichterfelde Ost von den politischen Veränderungen betroffen. Der „Kalte Krieg“ führte zu neuen, zeitweise unüberwindlichen Grenzen. 1952 stellte die DDR-Reichsbahn den Fernverkehr auf dem Berliner Abschnitt der Anhaltischen Bahn ein, 1961 trennte der Mauerbau die Lichterfelder S-Bahn-Strecke vom benachbarten Teltow, und ab 1984 fuhr länger als ein Jahrzehnt gar kein Zug mehr. Erst nach der Wiedervereinigung begann die Reaktivierung der alten Strecke, was einem Neubau gleichkam. Inzwischen rollen wieder S-Bahn-, Regio- und Fernzüge in Lichterfelde Ost, letztere allerdings ohne Halt. Der Bahnhof ist wieder ein wichtiger Verkehrsknoten im Berliner Süden.
Michael Günther:
Berliner Verkehrsorte im Wechsel der Zeiten
Lichterfelde – Groß-Lichterfelde – Lichterfelde Ost
Ein Vorortbahnhof ist 150 Jahre alt
In: „Verkehrsgeschichtliche Blätter“, Heft 5/2018, S. 122-140;
„Verkehrsgeschichtliche Blätter“, Heft 6/2018, S. 160-175